Kreuze am Wege!

 

Von Heinz Bera

 

(Veröffentlicht im Vestischen Kalender 1969, S. 34-36)

 

Wir sind gewohnt, in der heutigen Zeit nur noch große Leistungen zu beachten, gleich, ob es sich hierbei um Hochleistungen der Wissenschaft oder Technik handelt. Riesige Bauwerke aus Stahl und Beton beeindrucken uns sehr. All das Kleine, das am Boden zu haften scheint, macht heute nicht nur keinen Eindruck auf uns, wir sehen es einfach gar nicht mehr. Hierzu gehören die schmucklosen Kreuze am Wege. Sie stehen an Orten, an denen sich einmal ein Unwetter ereignet hat, an denen ein tödlicher Unglücksfall oder dergleichen geschah, of auch an der Stelle einer abgebrochenen Kirche. Es sind Kreuze aus Holz oder Stein. Kreuze aus dem Holz der Wälder, dessen Bild in stetiger Folge von den Jahreszeiten bestimmt wird, Holz, das wächst und verdörrt, oder Kreuze aus Stein, an denen Jahr um Jahr Regen, Wind und Frost arbeiten.

 

Einfache Balkenkreuze sind es zumeist, die sich in Gesellschaft von Eichen und Linden, die hier nicht mehr wegzudenken sind, am Wege erheben. Wie den Kreuzen, so haftet auch diesen Bäumen etwas Ehrwürdiges an. Nicht nur, weil es sich bei der Eiche und Linde an sich um schöne und auffallend gestaltete Bäume handelt, sondern auch weil wir aus Sagen und Überlieferungen wissen, dass gerade diese Bäume bei unseren Vorfahren alten Glaubens eine große Rolle gespielt haben, so dass die Verbindung dieser Bäume mit den Kreuzen nicht zufällig zu sein scheint, sondern ihr auch eine sinnbildliche Bedeutung zukommt. Ebenso, wie es eine symbolische Bedeutung hatte, dass Bonifatius das erste Kreuz aus dem Holz der Eiche anfertigte, nicht um ein besonders haltbares Holz für das Kreuz zu haben, sondern um unseren Vorfahren, die damals noch ihrem alten Glauben anhingen, zu beweisen, dass die von ihnen bei Eichen und Linden angebeteten Gottheiten machtlos waren und die Wegnahme des Holzes dieser Bäume ungestraft erfolgen konnte. So zäh, wie unsere Ahnen zuerst an ihrem Glauben festhielten, so zäh hielten sie auch später an dem neuen Glauben fest, zu dem sie sich bekannt hatten. Unbewusst aber hüteten sie auch viel Gedankengut aus der alten Zeit. Dieses Ahnengut wirkt auch in die westfälischen Volkssagen hinein, in denen wir im Zusammenhang mit Wegekreuzen auch von legendären Bäumen, insbesondere von der Eiche, hören. An ihre Stelle treten in den Sagen, auch zum Beweis ihrer allgemeinen Beliebtheit, zur Abwechslung oft Lindenbäume.

Der Grund hierfür liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass Westfalen die Gabe des zweiten Gesichts, des Sehers der Nacht, beheimatet. Selbst die frommen Erzählungen können sich nicht ganz davon freimachen, dass in ihnen auch die einstmals von unseren Vorfahren in ihrem damaligen Glauben für heilig gehaltene Bäume immer wieder genannt werden. Als ein Beispiel von vielen sei hierfür die Legende von der Auffindung eines Kreuzes in Kraneburg um 1300 erwähnt.


Der Pfarrer des Dorfes soll es in einem Baumstamm gefunden haben, den er für sein Herdfeuer erhalten hatte. Die Legende berichtet weiter, dass gerade in diesem Baum vor 28 Jahren eine Hostie von einem Schafhirten dort versteckt worden sei. Von des Auffindung des Kreuzes bis zu deren Verehrung ist dann der Weg nicht mehr weit, ebenso nicht vom Kreuze am Wege zu dem Kreuz im christlichen Leben überhaupt. Nur muss hier zwischen den Gründen, die zu dieser Kreuzverehrung führten, zwischen Legende und tatsächlicher Begebenheit, streng unterschieden werden.

 

In Verbindung mit der Kreuzverehrung trat uns die Wallfahrt zum Hl. Kreuz erstmals im 12. Jahrhundert entgegen. Ein mit Liudger-Reliquien versehenes Kreuz war bei einem großen Dorfbrand in Elte unversehrt geblieben. Diese auffällige Begebenheit war die Ursache einer Wallfahrt, besonders weil bekannt wurde, dass ein Junge dort von einer Krankheit genesen sei.

 

Als Begründung für diese Wallfahrt berichtet die Legende meistens nur wunderbare Ereignisse, wobei sich eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen gibt. Im Vest Recklinghausen können wir nur eine Kreuzwallfahrt verzeichnen. Die Verehrung des „Amandus“- Kreuzes in Datteln ist seit 1418 nachgewiesen. Zu den als wundertätig angesehenen Kreuzen zählt neben den Kreuzen von Bocholt und Wolbeck im Vest Recklinghausen das Kreuz in Haltern. Alle die vorstehend genannten Kreuze stammen aus dem 14. Jahrhundert.


Als weitere Verehrung des Kreuzes sind die mittelalterlichen Kreuztrachten hervorzuheben und hier wiederum die beiden Kreuztrachten Münsters, die 1489 erstmals verzeichnet sind. Am Feste Christi Himmelfahrt wurden zur Versinnbildlichung der Himmelfahrt des Herrn beide Kreuze an Ketten im Apostelgang des Domes emporgezogen, wobei nach dem Glauben der Bauern ein häufiges Klirren der Ketten auf hohe Kornpreise hinwies, wie 1825 mit folgenden Worten ezählt wurde: „Up Christi Himmelfahrtsdag trekket se in en Dom in Münster en graut hölten Krüz mit ne ieserne Kiede up en Apostelgank. An düsem Dage kume alle Buren ut de ganze Giegend nao Münster, üm te tellen, wu oft dat Krüz bi et Uptrecken kraket; denn jüst sovile Dahlers kostet dann für´t ganze Jaohr et Molter Korn. Et leste maol hewwet de armen Buren so viel biädet es der to, aower et het doch leeder Gottes men en paar mol kraket.“ Die beiden Kreuztrachten von Münster haben die Täuferwirren nicht überstanden. Auch in Haltern findet jedes Jahr eine Kreuztracht statt.

 

An die Stelle der später zurücktretenden Kreuzverehrung trat dann die Verehrung der Heiligen. Besonders bei der niederheinischen Bevölkerung zeigt sie sich schon seit dem Mittelalter in einer großen Vielfalt. Gleichwohl wie an dieser Stelle auf den Hinweis zwischen der Verbindung des Kreuzes am Wege und der Kreuzverehrung hingewiesen werden musste, da ja gerade letztere zur Errichtung dieser Kreuze am Wege in den meisten Fällen geführt haben mag, so kann in diesem Zusammenhang auf die Erwähnung von Heiligen-Bildnissen am Wege nicht verzichtet werden. Wegen ihrer Vielfalt seien hier die Marien-Standbilder genannt. Bei den Marien-Bildstöcken ist zu beobachten, dass sie ebenso wie die Wegekreuze von Eichen und Linden umgeben und Gegenstand von Legenden sind, deren Entstehung auf Motive zurückzuführen sind, die denen der auf die Kreuze am Wege bezogenen Legenden sehr gleichen.

 

Was bei Auffindung eines Kreuzes zur Verehrung desselben in einer Kreuztracht Ausdruck fand, dasgleiche führte beim Auffinden eines Gnadenbildes zu einer Wallfahrt. Feierliche Bittgänge durch die Fluren gegen Regen, Dürre, Gewitter und Hagelschlag, oft „Hagelfeiern“ genannt, sind üblich. Bei dieser Gelegenheit treffen wir ebenfalls auf ein Kreuz am Wege, das „Hagelkreuz“, dessen Errichtung die Sage – wie so häufig – auf ein fürchterliches Unwetter zurückführt.

 

Es ist nicht nur das Kreuz selbst, sondern auch das Zeichen des Kreuzes, dem man sozusagen am Wege begegnet. Der Landmann schreibt diesem Zeichen große und übernatürliche Wirkungen zu. Böse Geister, Hexen und Teufel sollen von ihm gebannt werden. Ein Kreuzzeichen macht der Bauer beim Betreten des Stalles, der wertvollen Besitz enthält; die Bäuerin macht ein Kreuzzeichen beim Anschneiden eines Brotes und kreuzweise fallen bei der Aussaat die ersten Körner. Diese frommen Bräuche konnten leider nicht verhindern, dass sich auch mancher Unfug in Bezug auf das Kreuz eingebürgert hat. Mehr als Unsitten sind es jedoch heute die Schändungen von Kreuzen, die unserer Gesellschaft Abbruch tun. Ehrwürdige, von unseren Vorfahren errichtete und durch Generationen hindurch hoch in Ehren gehaltene Kreuze, Heiligenhäuschen und fromme Bilder werden demoliert.

 

Auszüge aus: Vestischer Kalender 1969, S. 34-36

 

Zeichen des Glaubens                                              Die Perlen der Stadt