Gemeinsam wachsam bleiben

 

Recklinghausen. Das Dattelner Comenius-Gymnasium und die Hertener Martin-Luther-Europaschule erhalten den Dr.-Selig-Auerbach-Preis 2019.

 

Von Markus Gelling, Aus der Region, Dattelner Morgenpost, 16. März 2019

 

„Mensch, wo bist du? Gemeinsam gegen Judenfeindlichkeit“. So lautet das Jahresthema zur Woche der Brüderlichkeit 2019. Diese Veranstaltungsreihe für die christlich-jüdische Zusammenarbeit findet seit 1952 in mittlerweile mehr als 80 Städten statt. Im Kreis Recklinghausen zählt die Verleihung des Dr.-Selig-Auerbach-Preises zu den Höhepunkten der Aktionswoche. Die hiesige Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit hat die Auszeichnung gestern an gleich zwei Schulen verliehen: an das Comenius-Gymnasium (Datteln) und die Martin-Luther-Europaschule (Herten.)

Gerda E.H. Koch und Jörg Schürmann loben die Jugendlichen des Dattelner Comenius-Gymnasiums für ihre langjährige engagierte Auseinandersetzung mit Holocaust, NS-Diktatur und Antisemitismus.


 

„Wir wissen von der historischen Schuld und stellen uns der bleibenden Verantwortung angesichts der in Deutschland und Europa von Deutschen und in deutschem Namen betriebenen Vernichtung jüdischen Lebens“, sagte die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Kreis Recklinghausen, Gerda Koch. Mit ihrer ausgezeichneten Arbeit auf dem Gebiet der Erinnerungskultur trügen die Schüler dazu bei, dass sich das, was damals in Deutschland passiert sei, hoffentlich nicht wiederholt.

Das Comenius-Gymnasium wurde für seine jahrelange Arbeit wider das Vergessen ausgezeichnet: Dazu gehören regelmäßige Fahrten in die ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz, Majdanek und Buchenwald, Aktionen zum Holocaust-Gedenktag und zur Reichspogromnacht, Gespräche mit Zeitzeugen oder das Schreiben von Briefen an KZ-Überlebende wie Rolf Abrahamsohn. Eindrücke dieser Projekte gaben Comenius-Schüler in einem bewegenden Vortrag im Recklinghäuser Rathaus wider.

„Mir persönlich werden die Zeitzeugenbesuche, die ich miterleben durfte, für immer im Gedächtnis bleiben“, sagte Melanie Dyka-Dietz (18). Sie hat Sally Perel zuhören können. „Ich werde nie vergessen, wie wahllos diesem Menschen Leid angetan wurde.“ Sehr positive Erinnerungen hat sie hingegen an eine Fahrt nach Danzig – wo sich die Jugendlichen innerhalb einer deutsch-polnischen Gruppe ganz ohne Vorurteile begegnet seien. „Es ist ja auch wichtig, in die Zukunft zu blicken“, sagte dazu ihre Mitschülerin Elisa Lachenit (17).

 

Da musste ich die Tränen zurückhalten“

Vor allem für ihre Ausrichtung des Holocaust-Gedenktages 2018 hat die Martin-Luther-Europaschule den Dr.-Selig-Auerbach-Preis erhalten. Auf „Schlägel und Eisen“ habe die Sekundarschule eindrücklich gezeigt, „welche Verantwortung und welcher Auftrag sich aus dem Leidensweg von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern aus Herten und dem Schicksal von Zwangsarbeitern im Bergbau für die Demokratie heute ergeben“, sagte Jörg Schürmann, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, in der Laudatio. Besonders beeindruckt habe die Jury „die handlungsorientierte und kreative Zugangsweise mit tänzerischen, filmischen und musikalischen Elementen“.

So wurde mithilfe eines roten Tanzschuhs das Leben einer jüdischen Frau nachgezeichnet, die schließlich in Auschwitz vernichtet wird. „Am Ende liegt der rote Tanzschuh dann auf einem Haufen mit ganz vielen anderen kaputten Schuhen“, erzählte Amandine Labouret (15). Ihre Mitschülerin Silvana Kruse (15) weiß noch sehr gut, wie schwierig es war, ihren Text über die Deportationszüge vorzulesen: „Da musste ich die Tränen zurückhalten.“

 

Zusätzlich erhielt das Städtische Gymnasium Herten eine Anerkennungsurkunde für die Gestaltung des Holocaust-Gedenktages in diesem Jahr. Das Motto der Veranstaltung: „Schau hin! Misch dich ein! Sage Nein!“

 

„Ich glaube, wenn wir auf solche Schüler blicken können, müssen wir uns um die Zukunft keine Sorgen machen“, sagte Sarah Homann, Geschichtslehrerin vom Comenius-Gymnasium.

Dennoch überwog bei den Reden im Rathaus ein nachdenklicher Ton. Es gebe deutliche Anzeichen für zunehmenden Populismus und Antisemitismus – auch Witze über Minderheiten seien wieder salonfähig. Und so resümierte Hermann Kuhl, Leiter der Martin-Luther-Europaschule: „Lassen Sie uns gemeinsam wachsam bleiben.“

André Dora, Bürgermeister der Stadt Datteln, agiert seit Jahren im Sinne der Ziele der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und setzt sich mit Rat und Tat ein gegen Diskriminierung, Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit.

Regina Brautmeier, Schulleiterin des Comenius Gymnaisums Datteln, erinnert an das 18-jährige Mädchen Selma-Meerbusch-Eisinger und zitiert ihr Gedicht "Tragik":„Das ist das Schwerste: sich verschenken / und wissen, dass man überflüssig ist, / sich ganz zu geben und zu denken, / dass man wie Rauch ins Nichts verfließt.“