In Datteln-Ahsen gehen ein uralter Adelssitz
und eine junge Stiftung eine nachhaltige Verbindung ein.
In der Lippe-Aue, dort wo der Klosterner Mühlenbach in die Lippe fließt, erhebt sich ein uralter Adelssitz: Haus Vogelsang. Zum unter Denkmalschutz stehenden Ensemble gehören: Das barocke Haupthaus, der Anbau mit seiner helmartigen Abdeckung, die mit Schiefer verkleidet ist, die Motte, die Gräfte, die Mühle und die Fachwerk- und Wirtschaftsgebäuden. Im Südbereich des weitlaufenden Gräftenrings ist ein Teilstück zugeschüttet, nordöstlich vor dem Herrenhaus liegt ein Teich mit nahezu quadratischer Insel, zwischen Teich und umlaufender Gräfte im West-, Nord- und Ostbereich schlängelt sich ein schmaler Weg.
Landschaft in Balance
Haus Vogelsang und die östlich angrenzenden Lippeauen wollen sich in den nächsten fünf Jahren vollkommen neu präsentieren. In Punkto Besucherzahl und Besucherlenkung wird es weitreichende Veränderungen geben. Mit der Bewerbung für die Gartenausstellung 2027 (IGA) streben die Verantwortlichen eine Neuausrichtung des bestehenden Geschäftsmodells an, eine neue Nutzung des liebevoll restaurierten Gebäudekomplexes, in dem bis Ende 2018 die Haus Vogelsang GmbH ihre Betriebs- und Büroräume hatte und der seitdem mehr oder weniger leer steht. Denn nur im Rahmen einer dauerhaften Nutzung können die Gebäudeteile vor einem möglichen Verfall gerettet werden.
Zum 31.12.2018 hat das auf Haus Vogelsang ansässige Unternehmen Haus Vogelsang Gmbh (HVG) den Standort Datteln-Ahsen aufgegeben. Bereits im Laufe der Vorjahre hatte die HVG Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fachbereichen von Datteln an andere Standorte versetzt, in größerer Anzahl dann seit Anfang 2017. Die Firmenleitung teilt mit, dass ausschlaggebend für die Aufgabe des Standortes Datteln-Ahsen die Entfernung von den Wohnungsbeständen von VIVAWEST war, insbesondere im Raum Dortmund, Lünen, Hamm. Die Tourenplanung für die Mitarbeiter war nicht mehr effizient zu gestalten. Zudem waren in den letzten Jahren die von HVG forst- und landwirtschaftlich betreuten Flächen im nördlichen Ruhrgebiet deutlich rückläufig. Zuletzt war der Standort Datteln-Ahsen für die dort verbliebenen HVG-Mitarbeiter schlicht überdimensioniert. Die zuletzt noch in Ahsen eingesetzten 27 Mitarbeiter aus den Bereichen Freiflächen- und Baumservice starten nun überwiegend von Lünen-Brambauer aus in die VIVAWEST-Quartiere. Im Mai 2019 eröffnete VIVAWEST dort einen neuen Standort, der neben der HVG auch den rund 50 Mitarbeitern des Stützpunktes Lünen/Dortmund der RHZ Handwerks-Zentrum GmbH als Anlaufstelle dient.
Zur Geschichte des Hauses
Das schlichte zweigeschossige Gebäude mit quadratischem Eckturm und geschweifter Haube wurde zwischen 1750 und 1752 erbaut von Jobst Edmund III. von Brabeck. Jobst Edmund war Hildesheimer Domscholastiker und hatte den alten Adelssitz 1724 für 80.000 Reichstaler vom Freiherrn Ferdinand von Plettenberg gekauft.
Sicherlich verdankt die Anlage, die 1374 erstmals urkundlich erwähnt worden ist, ihre Entstehung der nahe vorbei fließenden Lippe: zum einen bildete der Fluss die Grenze zwischen den beiden Bistümern Köln und Münster, zum anderen war er jahrhundertelang ein wichtiger Transportweg. So diente die wehrhafte Anlage des Mittelalters den Kölner Erzbischöfen als Grenzbefestigung, die Herren von Sobbe hatten den Auftrag, den Lippeübergang militärisch zu sichern. Die Gräften, die heute noch zwischen Herrenhaus und Lippe erhalten sind, stammen aus der damaligen Epoche; sie umschlossen einen auf einer künstlichen, 22 m² großen Insel liegenden wehrhaften Wohnturm.
In der frühen Neuzeit wurde Haus Vogelsang dann Zollstation. Die von Brabeck führten die Anlage im 18. Jahrhundert als landwirtschaftlichen Großbetrieb, zusätzlich besaß Haus Vogelsang die Zoll- und Fischereirechte auf der Lippe sowie eine Fährbefugnis und Jagdrechte. 1783 erwarben die von Brabeck auch das weniger als drei Kilometer entfernt liegende Haus Rauschenburg – ebenfalls Zollstation – vom Hildesheimer Domkapitel. Erst als die Lippe 1815 durchgängig preußisch geworden war, brachen diese Zolleinnahmen weg.
Die letzte Adelsfamilie auf Haus Vogelsang, die Familie von Twickel, verdankte diesen Besitz einem Erbvertrag des Jobst Edmund von Brabeck aus dem Jahre 1723, der sich in dem Fall, dass die Brabecks keinen männlichen Nachkommen mehr hätten, als Erben den Freiherrn von Twickel wünschte. 1817 trat dieser Fall ein, nach kurzem Rechtsstreit übernahm Clemens August von Twickel 1823 Haus Vogelsang, 1989 verkaufte sein Nachkomme Clemens Freiherr von Twickel das Gut an die Ruhrkohle AG. Von 1989 bis 2018 hat die Haus Vogelsang GmbH das Gut als Betriebs- und Bürogebäude genutzt.
2021 wurde Haus Vogelsang von der Vogelsang Stiftung übernommen. Heute gruppieren sich gleich neben dem Haupthaus einige liebevoll restaurierte und behutsam modernisierte Betriebs- und Bürogebäude zu einem hübschen Ensemble; mit dem dazugehörigen Land umfasst das Gut etwa 900 Hektar. Bei der Übernahme bot das Herrenhaus vier Mietparteien Wohnungen, nun befinden sich dort die Büroräume der Landschaftsagentur Plus und der Vogelsang Stiftung. Im so genannten „Gebäude Nord“ befanden sich ursprünglich ein Stall und zwei Mietwohnungen. Hier lebten die Verwalter des Hofes. Im unteren Teil finden sich nun die Umkleideräume und Duschen, die den Mitarbeitern der HVG als Sozialräume dienten, der obere Teil des Gebäudes wird für Büros und Seminarräume genutzt.
Die heutige Werkstatt war unter Freiherr von Twickel je nach Bedarf Rinderstall, Getreidelager und Strohscheune. Aus dem ehemaligen Kornspeicher wurde ein Versammlungs- und Schulungsraum. Der Schweinestall, mitten auf dem Hof, wurde bis 2002 betrieben und hat einmal bis zu 2000 Tiere aufgenommen, da er nicht unter Denkmalschutz steht, beabsichtigen die Verantwortlichen der Vogelsangstiftung und des Vereins 2Stromland e.V. ihn abzureißen und im hinteren Teil durch ein Gästehaus zu ersetzen.
Zu den erneuerten Gebäuden zählt auch die alte, unter Denkmalschutz stehende Ölmühle, die ihren Betrieb bereits 1924 eingestellt hatte. Bei der Restaurierung wurde das defekte Wasserrad nicht vergessen. Heute dient das schmucke Bauwerk als Besprechungsraum.
Experimentierraum für die Landschaft der Zukunft
Rund um Haus Vogelsang prägen die Flüsse Lippe und Stever mit ihren Auen das Landschaftsbild. Zwischen ihnen gibt es Siedlungen, landwirtschaftliche Flächen, Wälder – insgesamt also eine typische Landschaft der Gegend. Seit kurzem führt der Wanderweg „Hohe-Mark-Steig“ auch durch die Lippeauen und an Haus Vogelsang vorbei. Es überrascht nicht, dass dieses Naherholungsgebiet auf die Menschen des nahen Ballungsraumes Ruhrgebiet eine große Anziehungskraft ausübt.
In diesem Raum wollen die Städte Datteln, Olfen, Haltern am See und Oer-Erkenschwick in Kooperation mit den Verantwortlichen bei der Gelsenwasser AG, beim Lippeverband, RAG Montan Immobilien sowie der Quarzwerke GmbH einen gemeinsamen Identifikationsort für den Grenzraum Ruhrgebiet-Münsterland schaffen: das 2Stromland. Die auf Haus Vogelsang ansässige Landschaftsagentur Plus übernimmt dabei die Aufgabe, das Projekt zu koordinieren, überregional zu beraten und zwischen Investoren, Flächennutzern und -eigentümern zu vermitteln.
Als Nahziel ist seitens des Vereins 2Stromland geplant, in dem weitläufigen Areal von Haus Vogelsang eine Außenstelle der internationalen Gartenausstellung 2027 (IGA) einzurichten. Die Träger des Gutes (die Vogelsang Stiftung, der Verein 2Stromland und die Landschaftsagentur plus) erhoffen sich von dieser Bewerbung, dass sie dem Haus Vogelsang auch weit über das Jahr der Gartenausstellung hinaus zu einer völlig neue Bedeutung verhelfen kann. Das ohnehin bereits vorhandene große Interesse der Erholungsuchenden an den Lippeauen soll im Rahmen der Vorbereitung auf die IGA 2027 nicht nur durch geeignete Maßnahmen „kanalisiert“ und gesteuert werden, um einerseits das direkte Naturerlebnis zu ermöglichen, andererseits aber auch die besonders sensiblen Bereiche konsequent zu schützen und von Besuchern freizuhalten.
Inerhalb der existierenden Gebäudestruktur von Haus Vogelsang soll außerdem die Akademie Vogelsang entstehen, ein Seminar- und Tagungsort. Die Akademie möchte Menschen an die Natur heranführen, sie informieren und ihr Interesse an einer intakten Umwelt wecken - dies alles in entspannter und erholsamer Umgebung. Inmitten der renaturierten Landschaft und in unmittelbarer Nähe zum Ballungsraum Ruhrgebiet soll hier ein neuer Bildungsort und Ort des Diskurses über Nachhaltigkeit und die Landschaft von morgen aufgebaut werden. Aus der Futterscheune soll der IGA-Ankunftsort mit einem digitalen Besucher-Zentrum werden, im Hof soll ein neues Gästehaus für Übernachtungsmöglichkeiten mit einfachem Standard für ausgesuchte Gruppen entstehen.. Die alte Ölmühle am Haus Vogelsang wird schon kurzfristig als Tagungsort (maximal 15 Teilnehmer) zur Verfügung stehen.
Im Frühjahr 2017 hatte die Landschaftsagentur Plus, ein Gemeinschaftsunternehmen der RAG Montan Immobilien GmbH und der HVG Grünflächenmanagement GmbH, mit Sitz in Datteln-Ahsen, die Idee, ein Storchennest auf das Dach eines Gebäudes am Haus Vogelsang zu montieren und somit ein weiteres Storchenpaar anzulocken. Das neue Nest wurde in dem Jahr zwar noch nicht angenommen, dafür brütete ein Pärchen auf dem Eichenstamm auf der Rinderwiese am Lippebogen – mit dreifachem Erfolg.
Lesen Sie den Bericht über die Montage des Nestes in der Dattelner Morgenpost am 18. März 2017 hier:
Es war einmal: Die Haus Vogelsang GmbH
Bis zum 31.12.2018 war Haus Vogelsang einer der Standorte der Haus Vogelsang GmbH. Die HVG zählt zur Vivawest-Dienstleistungen-Gruppe mit Hauptsitz in Gelsenkirchen. An fünf Standorten in NRW, mit weit über 380 Mitarbeitern und zuletzt 40 Mio. Euro Jahresumsatz ist das Unternehmen über die Grenzen von NRW hinaus einer der führenden Grünflächenmanager. Freiflächenpflege und Verkehrssicherung gehören ebenso zum Leistungsportfolio wie die Erarbeitung nachhaltiger Funktionskonzepte im Immobilienumfeld der Wohnungswirtschaft und der Industrie.
Gegründet wurde die HVG Grünflächenmanagement GmbH im Jahr 1989, damals mit dem Ziel, die land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften der RAG Aktiengesellschaft professionell zu bewirtschaften. In den 1990er Jahren verlagerte sich der Schwerpunkt der Tätigkeiten dann zunehmend auf die Betreuung der wohnungswirtschaftlichen Liegenschaften der RAG Immobilien GmbH, die später in der Vivawest Wohnen aufgegangen ist. In den Folgejahren gewann HVG immer mehr Kunden aus den Bereichen Wohnungswirtschaft und Industrie für sein umfassendes Grünflächenmanagement.
Zum Kerngeschäft der HVG gehören seit über 20 Jahren die Bewirtschaftung und die Verkehrssicherung wohnungswirtschaftlicher sowie gewerblicher und industrieller Liegenschaften sowie die Entwicklung nachhaltiger Funktionskonzepte im Immobilienumfeld. Heute betreut HVG rd. 325.000 Wohnungen, erbringt für 2,9 Mio. m² Industriefläche sowie 11,5 Mio. m² wohnungswirtschaftliche Fläche das Grün- und Freiflächenmanagement und kontrolliert regelmäßig und zuverlässig für rd. 360.000 Bäume, 21 Mio. m² Freifläche und 1.700 Spielplätze die Verkehrssicherung. Seit 2019 bündelt die HVG ihre Geschäftstätigkeit für ihre Kunden im Ruhrgebiet vor allem am Hauptsitz in Gelsenkirchen.