Stahlprodukte mit weltweitem Renommee
Dattelns Dorfschultenhof, in dem bis November 2016 das Hermann-Grochtmann-Museum zu Hause war, beherbergt eine besondere Rarität der westfälischen Industriegeschichte: hier sind auch heute noch die ältesten erhaltenen Gussstahlglocken der Welt ausgestellt. Die Glocken wurden 1845 vom Bochumer Verein im damals gerade erst entwickelten Stahlformgussverfahren gefertigt.
1842 als Firma Mayer & Kühne gegründet, erlangte das junge Unternehmen aufgrund seiner hohen Produktqualität schon bald überregionale Bedeutung. Ausschlaggebend hierfür war das um 1850 von Jacob Mayer entwickelte Stahlformgussverfahren, mit dem erstmals hochwertige Stahlprodukte wie Maschinenteile ohne den bis dahin üblichen arbeitsintensiven Schmiedeprozess hergestellt werden konnten. Vor allem die Gussstahlglocken sorgten für ein weltweites Renommee. Daneben lag der Tätigkeitsschwerpunkt von Beginn an bis heute bei Rädern, Radsätzen, und Radreifen für Eisen- und Straßenbahnen. Im Jahr 1852 präsentierte die Firma Mayer & Kühne auf der Düsseldorfer Gewerbeausstellung der Weltöffentlichkeit erstmals Produkte aus Stahlformguss in Form von drei Glocken.
Neben den zwei ältesten noch erhaltenen Glocken aus dieser Anfangszeit von Mayer & Kühne aus dem Jahr 1845, die heute im Hermann-Grochtmann-Museum in Datteln zu sehen sind, befinden sich weitere Glocken aus den Anfangsjahren der Bochumer Gussstahlproduktion (aus dem Jahr 1853) im deutschen Werkzeugmuseum in Remscheid sowie in der Kirchengemeinde St. Nikolaus in Kasbach-Ohlenberg.
1901 konnte die neue Friedenskirche am Schiffshebewerk in Meckinghoven eingeweiht werden. Sie war für 200 Sitzplätze konzipiert und maß 8x16m. Im Innern befanden sich Empore, Kanzel, Taufbecken und Altar. Die beiden Glocken im kleinen Turmreiter waren ein Geschenk der Mutterkirche aus Recklinghausen,.
Gertrud Ritter erzählt die Geschichte dieser beiden Glocken im Vestischen Kalender 2000:
Sie hatten schon eine Geschichte und einen weiten Weg hinter sich, bevor sie nach Datteln-Meckinghoven kamen. Experten stellten fest, daß sie im Jahre 1845 in dem Gussstahlwerk "Bochumer Verein" gegossen wurden. Sie waren bestimmt für die erste evangelische Kirche im Vest Recklinghausen, der heutigen Gustav-Adolf-Kirche. Mit der Einweihung dieser Kirche 1847 ertönten die Glocken zum ersten Mal und luden ein zum Kirchenbesuch.
„ .... dann ist es ihnen ergangen, wie es in großer Familie mit Kleidungsstücken geht", schreibt Pfarrer Heinrich Trippe in seinem Bericht über die Einweihung der Kapelle der ev. Kirchengemeinde Waltrop-Datteln am 1. Nov. 1901. In diesem Dokument heißt es weiter: "Die Mutterkirche Recklinghausen hatte 1880 die Glocken der ältesten Tochterkirche Bruch (Recklinghausen-Süd) geschenkt, diese Kirche übergab die Glocken im Jahre 1897, nachdem sie lange Jahre schweigsam in einer Ecke der Sakristei geruht haben, der Schwesterkirche in Herten. Seitdem aber Herten selbst ein stolzes Gotteshaus und in dem imposanten Turm ein dreifaches Geläut hat, sind die Glocken 1899 nach Meckinghoven gewandert. Hier haben die Glocken die Evangelischen in der Zerstreuung zum Gottesdienst in die „Alte Kantine", die von Spöttern „protestantischer Dom" genannt wurde, gerufen. Jetzt ( 1. Nov. 1901 ), wo sie wieder einen würdigeren Platz in luftiger Höhe bekommen, erklingen sie noch einmal so fröhlich vom Turm der Kapelle und laden den Erdenpilger zur Einkehr. Am Festtage kamen bei sonnigem, schönem Wetter die Gemeindeglieder aus der Zerstreung und die Festgäste zu Wasser und zu Lande an ....."
Stolz und fröhlich erklangen die Glocken schon am Vorabend und festlich am Einweihungstag der Kapelle, die heute den Namen „Friedenskirche“ trägt. Die Glocken hatten ihr „Zuhause“ gefunden. Das rastlose Wandern hatte ein Ende. Hier wurden sie nicht gegen klangvolle Bronzeglocken ausgetauscht. Sie passten zu der bescheiden anmutenden kleinen Kirche, die trotzdem ein Kleinod unter den Kirchen im Vest Recklinghausen geblieben ist. Die Stahlglocken hatten sogar den Vorteil, dass sie in den beiden Weltkriegen nicht wie Bronzeglocken vom Staat eingezogen und zu Rüstungszwecken eingeschmolzen wurden.
So riefen sie in guten und in schlechten Zeiten zum Gottesdienst und forderten auf zum Gebet. Sie begleiteten mit ihrem feierlichen Geläut viele Taufen, Konfirmationen und Hochzeiten und dumpf und traurig war ihr Klang, wenn sie einen Verstorbenen auf seinen letzten Weg begleiteten.
1967 hatten die Glocken ausgedient. Sie waren im Laufe der Jahre so brüchig geworden - bei einer Glocke sprang der Klöppel ab -, dass sie dem Dattelner Heimatmuseum übergeben wurden. Heute hängen sie, an einer Holzachse montiert, in dem noch erhaltenen kirchlichen Trakt des ehemaligen Hermann-Grochtmann-Museums als stumme Zeugen der ev. Kirchengeschichte im Vest Recklinghausen.