Vom Kirchsaal zur Versöhnungskirche
Gesellschaftliche Veränderung und kirchliche Erneuerung, das waren zwei charakteristische Schlagworte der 70er Jahre. Sie machten auch um die kleine evangelische Kirchengemeinde in Meckinghoven keinen Bogen. Gewiss, der Aufbruch zu neuen Horizonten hatte in den Metropolen dieser Welt bereits Ende der 60er, Anfang der 70er hohe Wellen geschlagen, bevor er sich in leicht gemäßigter und abgeschwächter Form, aber doch in der geforderten Deutlichkeit und Praktikabilität auch der Provinz durchsetzte. Überall im Lande wurde die starre, verkrustete Unterwürfigkeit abgelöst durch eine vom liberalen Denken geprägte Kooperation. Weitreichende Reformen in der Bildungs-, Gesellschafts-, Familien-, Rechts- und ansatzweise in der Umweltpolitik hatten die Ansichten und Einstellungen, die Überzeugungen und Haltungen großer Teile der Bevölkerung grundlegend verändert. Ein tiefes Unbehagen mit den traditionellen Strukturen, mit der zur Erstarrung tendierenden Mentalität des Bewahrens und Erhaltens war abgelöst worden durch eine Politik der Emotionen und Visionen. Demokratische Mitverantwortung und Mitbestimmung, gleichberechtigte Mitsprache und Mitwirkung waren an die Stelle unterwürfiger Abhängigkeit getreten und hatten den tief verwurzelten Glauben an die Unfehlbarkeit der Autoritäten erschüttert. Die gravierenden Auswirkungen dieser kulturhistorischen Wende waren bis tief in die einzelnen Familien hinein und an einer Vielzahl von Arbeitsplätzen zu verspüren.
In einer sich dramatisch wandelnden Gesellschaft veränderte sich zwangsläufig auch die Rolle und der Anspruch der Kirchen, ihr Selbstverständnis ebenso wie ihre seelsorgliche Tätigkeit. Das Glaubensleben beschränkt sich nicht mehr auf Frömmigkeit, Bibellese und Besuch des Sonntagsgottesdienstes; im Gegenteil: Glaube fordert geradezu gesellschaftliches Engagement heraus; gesellschaftliches Engagement wird durch den Glauben begründet und vertieft. Die Konfessionsgrenzen verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Das andere christliche Bekenntnis hindert junge Menschen – unterstützt von aufgeschlossenen Geistlichen – immer weniger an gemeinsamen Aktivitäten. So überwinden in Orten, wo die Gläubigen der beiden christlichen Konfessionen auf engstem Raum miteinander wohnen, immer mehr junge Paare Jahrhunderte alte Vorbehalte und gehen sog. Mischehen ein. Die evangelischen Pfarrämter öffnen ihre Pfarrämter für Frauen; die Parole Willi Brandts „Mehr Demokratie wagen“ stärkt zunehmend die Rolle die Gemeinde und ihrer Glieder.
Renovierung des Kirchsaals
Zweifelsohne ist die kirchliche Erneuerung in Meckinghoven im Blickwinkel dieses Wertewandels und dieses sich neu formierenden Zeitgeistes der späten 70er Jahre zu sehen. Interessant ist, dass bereits im Jahre 1973 erste Überlegungen für die Renovierung des Kirchsaals angestellt wurden. Im Protokoll zur Sitzung des Bauausschusses vom 10. April 1973 findet sich folgender Hinweis:
„Der Bauausschuss berät eingehend, wie der Kirchsaal gestaltet werden muss, um den Charakter eines gottesdienstlichen Raumes zu erhalten. Folgende Vorschläge wurden gemacht:
Der Bauausschuss empfiehlt eine neue Verglasung der Fenster. Infrage kommen die Glassorten: Niagara-Bronze oder Kathedral 187. Außerdem müssen neue Lampen installiert werden.“
Diese Maßnahmen wurden am 26. April 1974 vom Presbyterium zur Kenntnis genommen. Herr Pizolka wurde beauftragt, für die Innengestaltung des Kirchsaals Angebote einzuholen und alsbald vorzulegen. Auch die Erneuerung des Außenanstrichs wurde vorgeschlagen.
Dass erste Ideen und die spätere Umsetzung von Bauvorhaben nicht unbedingt übereinstimmen müssen, zeigen diese Ausführungen. Sicherlich kann niemand den Umbau und die Neugestaltung des Kirchsaals Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre besser erläutern als die Beteiligten, die Initiatoren und die Begründer des Konzepts, Pfarrer Breutmann und das Architektenehepaar Ossenberg-Engels. Deswegen bleibt dem Chronist an dieser Stelle lediglich die Aufgabe, kurz die Abfolge der feierlichen Ereignisse zu schildern.
Übergabe des umgebauten Kirchsaales
1954, etwa zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, hatten die finanziellen Möglichkeiten nur zur Schaffung eines Kirchsaals gereicht, der sich dann unter den Pfarrern Otto-Albrecht von Oppen und Paul Papenberg zum Zentrum der Gemeindearbeit und Identifikationsziel vieler Neubürger im Südbezirk entwickelte. Mit einem Familiengottesdienst und einem zweitägigen Basar konnte die evangelische Kirchengemeinde Datteln am 29. und 30. November 1980 ihren neu gestalteten Kirchsaal nach gut einem Jahr Renovierungs- und Umbauarbeit mit einigem Stolz endgültig seiner Bestimmung als würdige Räumlichkeit für den Gottesdienst zuführen. An dem von Pfarrer Breutmann gehaltenen Adventsgottesdienst beteiligten sich viele Kräfte aus der Gemeinde: die Kirchenchöre aus dem Südbezirk und aus der Lutherkirche, die Bläser aus Meckinghoven und auch eine Flötengruppe.
Die zahlreichen Veränderungen sowohl äußerlich als auch im Innern des Gebäudes gaben dem kirchlichem Mittelpunkt im Süden der Stadt nicht nur ein freundlicheres Aussehen, sondern sorgten auch für mehr Platz zur Gruppenarbeit: in zwölfmonatigen Bauzeit, bei der Einschränkungen nicht ganz zu vermeiden gewesen waren, war aus dem anfänglichen Kirchsaal ein schickes Gemeindezentrum geworden. Die Friedenskirche und die Horneburger Schlosskapelle waren zwischenzeitlich als Ausweichquartiere genutzt worden.
Ausgangspunkt dieses Umbaus war die Verbreiterung des Treppenhauses, die aus baupolizeilichen Gründen notwendig geworden war. Die Treppe in den Keller besaß den Charakter einer Hühnerstiege, die Stufen waren höher als normal, deswegen äußerst gefährlich, besonders für ältere Menschen. Damit verband man dann gleich die Neugestaltung des Eingangsbereiches und Gottesdienstraumes. Der alte Kunststoffboden wurde durch Parkett und die einfachen Kathedralglasfenster durch künstlerische Bleiverglasung ersetzt. Außerdem gab es eine veränderte Deckengestaltung und eine neue Bestuhlung. Der dem Gottesdienst dienende Kirchsaal „erhielt durch diese Verbesserungen der Innenausstattung die vorher fehlende sakral-architektonische Komponente; dies trug zu einer qualitativen Erhöhung des Andachtsempfindens der Gläubigen bei“, erklärte Pfarrer Breutmann dem Chefredakteur der Dattelner Morgenpost. (DMP vom 26. Oktober 1979)
Ebenso wesentlich war die Veränderung des Raums auf der Empore, auf der bis zu jenem Zeitpunkt die alte, für den Kirchsaal viel zu kleine Orgel gestanden hatte. Statt für kirchenmusikalische Zwecke wurde er nunmehr durch eine Abtrennmöglichkeit zum Saal auch als Gemeinderaum nutzbar.
Beginn der Umbauarbeiten 1979.
Ansonsten wurden die Räume im Keller, die von der Jugend der Gemeinde, aber auch von einigen anderen Gruppen als Treffpunkt genutzt wurden, durch einen neuen Anstrich verschönert. Hierfür – wie für einige andere Arbeiten – zeichneten Gemeindeglieder verantwortlich, die sich in dankenswerter Eigeninitiative zur Verfügung gestellt hatten. Somit konnten auch die Räume, die nicht direkt in den Umbaukomplex einbezogen waren, ebenfalls aufgewertet werden. Dass trotz der zahlreichen Eigenleistungen die finanziellen Aufwendungen immens waren und deswegen einige Wünsche unerfüllt blieben, erzählt uns Pfarrer Breutmann in seinen Zeilen. Aus den ursprünglich eingeplanten 300.000 Mark waren nämlich schnell 350.000 Mark geworden, dazu kamen noch die Ausgaben für die schöne neue Orgel.
Übergabe des umgebauten Kirchsaales
am 30. November 1980. (WAZ)
Die neue Orgel
Der Leiter der Firma „Alfred Führer“ aus Wilhelmshaven, Orgelbaumeister Fritz Schild und sein Intonateur Christian Wachtendorf verbrachten zwei Wochen, vom 7. bis 23. Januar des Jahres 1981 in Meckinghoven, um die neue mechanische Pfeifenorgel mit ihren elf Registern einzubauen und den richtigen Klang in den Kirchsaal zu bringen. „Auf den Ton kommt es an, den Klang in die Pfeifen zu bringen, ist die schwierigste Aufgabe beim Orgelbau – nicht etwa das Zusammenfügen der Instrumententeile“, erläuterte Fritz Schild dem Redakteur der Morgenpost. In tagelanger, sorgfältiger Präzisionsarbeit, bei der nicht allein das Fingerspitzengefühl, sondern in erster Linie das Gehör von besonderer Bedeutung war, wurde das Prunkstück genau auf die Akustik im Kirchsaal abgestimmt. Angenehm sollten sie klingen und Musikgenuss sollten sie bringen, die 700 Orgelpfeifen, deren größte eine Länge von 2,50 Meter (mit Fuß sogar 3,10 Meter) aufweist und deren kleinste gerade einen Zentimeter misst und noch nicht einmal den Durchmesser eines Bleistiftes hat. Für den Klang einer jeden Orgelpfeife ist natürlich nicht nur ihre Größe maßgebend, sondern auch das Material, aus denen sie hergestellt sind. Für die Prospektpfeifen beispielsweise wurde eine Legierung von 60 Prozent Zinn und 40 Prozent Blei verwendet; die gedeckten Holzpfeifen dagegen wurden aus Mahagoniholz hergestellt. Selbst der Holzkörper der Orgel ist maßgebend für den Klang des Instrumentes. Er ist von akustischer Bedeutung und wurde bei der Orgel in Meckinghoven aus Eichenholz gefertigt.
Gehäuse und Form sind dem Raum angepasst. Dabei ist diese Orgel in Süd eine mechanische, eine von jenen, die sich im Grunde seit Bachs Zeiten nicht geändert haben. Im Gegensatz zur elektronischen ist hierbei der eigenständige Klang gewahrt, besonders bei den gekoppelten Registern. Dieses Mechanische hat weiterhin den Vorteil, dass sie so leicht funktioniert, dass man nicht davon sprechen kann, dass der „Organist die Orgel schlägt“, sondern dass selbst schnellste Läufe und Triller mit Leichtigkeit gespielt werden können.
Intonierung der Orgel durch Fritz Schild. (WAZ 30.1.1981)
„Die neue Orgel wird wohl nicht nur im kirchlichen Leben der Gemeinde eine große Rolle spielen“, freute sich Pfarrer Breutmann über die Bereicherung des kulturellen Angebots in Datteln. „Vor allem wird dies wohl auch für das kulturelle Leben dieses Stadtteils von Bedeutung sein.“ Genutzt werden sollte das neue Instrument nämlich nicht nur während der Gottesdienste, erfreuen sollte es auch die Liebhaber weltlicher Orgelmusik. Und Pfarrer Breutmann spendete der Stadt ein Riesenlob, die den Kauf des 106.000 DM teuren Instruments durch ihren großzügigen Zuschuss erst ermöglichte: „Mit den Spenden der Gemeindeglieder alleine hätten wir es nicht geschafft, erst mit Unterstützung der Stadt konnten wir uns dann zum Kauf einer mechanischen Orgel entschließen.“
Einweihung der neuen Orgel am 15. Februar 1982; als Chorleiter Karl Buskies und Kantor Gerhardt Blum.
Der Blick der Gemeinde ist auf die Versöhnung der Welt gerichtet
Am 15. Februar 1981 konnte Superintendent Karl-Heinrich Gilhaus aus Recklinghausen diese neue Orgel einweihen. Im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes wurde gleichzeitig der Kirchsaal in „Versöhnungskirche“ umbenannt. Der Wunsch zu dieser Namensgebung ist von der Gemeinde ausgegangen; denn nach der großzügigen Umgestaltung des Innenraumes und der optischen Aufwertung des Erscheinungsbildes der Kirche erschien der Name „Kirchsaal“ doch eher als nüchterne Funktionsbezeichnung. Der neue Name „Versöhnungskirche“ wurde nach vielen Gesprächen der Gemeindegruppen vorgeschlagen, in einer extra einberufenen Gemeindeversammlung einigte man sich dann auf ihn; das Dattelner Presbyterium und die evangelische Landeskirche haben zugestimmt. Die Erinnerung an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges waren für die Gemeindeglieder unter der Seelsorge von Pfarrer Ernst Breutmann der Grund, der Kirche diesen Namen zu geben und so den Blick zu richten auf die so dringend notwendige Versöhnungsarbeit in aller Welt. So waren auch die Predigten von Pfarrer Breutmann und Superintendent Gilhaus ganz dem Thema der Versöhnung gewidmet. Im Rahmen des festlichen Gottesdienstes nahm der Superintendent die Benennung „zum Symbol für unsere Hoffnung und zum Signal für das Tun in unserer Gemeinde“ vor.
Ebenso weihte der Gast aus Recklinghausen die neue Führer-Orgel ein; in seiner Predigt betonte er: „Auch bei knappen Finanzmitteln ist es heute selbstverständlich noch richtig, für eine neue Orgel zu sparen. Denn sie gilt seit Jahrhunderten als eine besondere Stimme in der Kirche neben Predigt und Gesang, und sie kann sowohl die Sünde des zerrissenen Menschen als auch die Glaubenszuversicht darstellen. Sie hat außerdem einen bedeutenden Symbolcharakter für eine Gemeinde: ebenso wie bei der Orgel gehören auch zur Gemeinde viele Stimmen, von denen immer einmal wieder eine hervortritt, um wenig später wieder einer anderen Raum zu geben.“ Dieses Beispiel benutzte der Superintendent auch, um den Wert einer jeden Aufgabe in der Gemeinde gleichrangig neben jeder anderen darzustellen.
Neben Organist Karl Buskies hatte man mit Professor Arno Schönstedt aus Herford einen wahren Könner eingeladen, um der neuen Orgel erstmals die ganze Klangfülle zum „Lobe des Herrn“ zu entlocken. An dem fast zweistündigen festlichen Gottesdienst wirkten außerdem die vereinigten Chöre der Johanneskirche aus Oer-Erkenschwick unter der Leitung von Heinz Gregel, der Lutherkirche Datteln unter Leitung von Karl Buskies und der Frauenhilfe der Versöhnungskirche und der Bläserchor unter Stabführung von Kantor Gerhardt Blum mit. Im Anschluss an den Gottesdienst fand ein Empfang in den Gesellschaftsräumen des Gemeindezentrums statt.
Das neue Instrument verhalf dem musikalischen Kirchenleben im Süd-Bezirk zu einer neuen Blüte. Unter der Leitung von Karl Buskies nahm der Kirchenchor seine Arbeit wieder auf. Das war zum Beispiel am 18. März 1984 der Fall, als die ganze Gemeinde das dreißigjährige Jubiläum feierte.
Arno Schönstedt an der Orgel der Versöhnungslirche. (WAZ 16.2.1981)
Die Thematik der Versöhnung spiegelt sich auch in den Tonkacheln, die seit April 1982 die Wand links neben dem Altarraum schmücken. Angefertigt wurde dieses aus 71 Einzelkacheln bestehende Wandbild nach einem Entwurf von Eckhard Kraus von der Keramischen Werkstatt der Bodelschwinghschen Anstalten in Bielefeld-Bethel. Dargestellt sind drei Gruppen, die gemeinsam nach einer Möglichkeit der Versöhnung suchen. Herrscht bei der rechten Gruppe noch Zwist, geht die mittlere bereits Wege der Versöhnung. Die linke Gruppe besteht aus fröhlichen Menschen, die einander verstehen und akzeptieren.
Die Ausführenden waren damals sehr zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Arbeit; weil aber das Kreuz, das als verbindender Abschluss über den drei Gruppen thronen sollte, nicht hinzugefügt wurde, ist dieses Kunstwerk allerdings nie in seiner ursprünglichen Konzeption vollendet worden.