Friedenskirche am Schiffshebewerk

Sie zählt sicherlich nicht zu den großen und imposanten Kirchenbauwerken der Republik, sie wirkt eher bescheiden und unscheinbar. Dennoch ist sie ein geschichtsträchtiger Ort: die Friedenskirche am Schiffshebewerk gewinnt ihre Bedeutung für den Ort und die Region vor allem dadurch, dass sie die älteste evangelische Kirche in Datteln und im gesamten Ostvest ist. Erbaut im Jahre 1901 bildet sie die Keimzelle der evangelischen Kirchengemeinden Datteln und Waltrop.

Zur Friedenskirche am Schiffshebewerk wurde sie 2007, als Schifferpastor Horst Borrieß die Evangelische Binnenschiffergemeinde von ihrem vormaligen Sitz an der Dattelner Eichenstraße hierhin in den Dattelner Süden nach Meckinghoven verlegte.

 Seit 2017 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 war sie den meisten Menschen stärker als Kulturkirche denn als Ort der Seelsorge vertraut. Auch wenn hier weiter hin und wieder ökumenische Gottesdienste und Andachten gefeiert wurden – etwa zu Gründonnerstag, am Barbarafest oder in der Adventszeit, so diente die Kirche in jenen Jahren vornehmlich als Bühne für kulturelle Veranstaltungen: Kabarett, Theater, Konzerte, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen.


Mit dem Bau des Dortmund-Ems-Kanals 1892-1898 waren die ersten protestantischen Beamte und Arbeiter in die bis dahin rein katholischen Gemeinden Datteln und Waltrop gekommen. Nachdem es am 1. Oktober 1899 zur offiziellen Gründung der „Evangelischen Kirchengemeinde Waltrop-Datteln“ gekommen war, gründete Prediger Heinrich Trippe einen Kirchbauverein. Die erste Notkirche war eine vom Bau des Kanals übrig gebliebene Kantine, die als Betsaal hergerichtet wurde. Weil man mit weiterem Zuzug von Protestanten durch den geplanten Schiffshebewerkbau und ein neues Bergwerk Emscher/Lippe in der Nähe rechnete, genehmigte die kgl.-preuß. Regierung ein Jahr später einen Kirchbau.

 

Am 1. November 1901 konnte die neue Friedenskirche feierlich eingeweiht werden. Sie war für 200 Sitzplätze konzipiert und maß 8x16m. Nach der Inschrift über dem Altarraum („Der Herr ist unser Friede“) erklärt sich der spätere Name der „Friedenskirche“. Im Innern befanden sich Empore, Kanzel, Taufbecken und Altar. Die beiden Glocken im kleinen Turmreiter waren ein Geschenk der Mutterkirche aus Recklinghausen, die vorher jeweils bis zum Bau einer größeren Kirche in Bruch und danach in Herten geläutet hatten. Es handelte sich um frühe Gussstahlglocken des Bochumer Vereins. 1967 fanden die brüchig gewordenen Glocken einen Ehrenplatz im Dattelner Hermann-Grochtmann-Museum. Unterdessen ist sicher, dass es sich bei diesen Glocken aus dem Jahre 1845 um die ältesten Gussstahlglocken der Welt handelt!


 

Nachdem sich Datteln und Waltrop zwischenzeitlich zu wachsenden Bergbaugemeinden entwickelt hatten, wurde die Kirchengemeinde Datteln-Waltrop im Jahr 1920 formal getrennt und in zwei eigenständige Institutionen überführt. Damit lag die älteste evangelische Kirche im Vest nicht mehr im Zentrum der beiden Gemeinden, sondern geriet in eine Randlage, Sie wurde aber weiter für Gottesdienste genutzt.

 

1943 wurde die Kirche durch Bomben schwer beschädigt; in den letzten Kriegstagen schossen deutsche und alliierte Soldaten am Kanal aufeinander, die Gefallenen wurden provisorisch im Garten der Kirche begraben, Die Kirche war 1949 soweit wieder hergestellt, dass Gottesdienste möglich waren. Den Aufbau bewerkstelligte das evangelische Männerwerk Datteln-Süd. Das Männerwerk stiftete auch zwei neue Buntglasfenster.

 

 

Im Zuge der Renovierung von 1967 entfernte man die bescheidenen Schönheiten der kleinen Kirche wie die offene Dachkonstruktion zugunsten einer Flachdecke und die Rundbogen über den Altar mit der Inschrift „Der Herr ist unser Friede“. Auch die Empore wurde entfernt, weil ein verkürzter und verbreiteter Glockenturm auf eine neu eingefügte Betonplatte gesetzt wurde. Die brüchig gewordenen Glocken wurden durch zwei neue Glocken ersetzt.


 

2006 übernahm der Kirchenkreis Recklinghausen von der Kirchengemeinde Datteln die Zuständigkeit für die Friedenskirche und gestaltete sie zur Schifferkirche der Binnenschifffahrtsseelsorge um. Diakon Horst Borrieß übernahm die seelsorgerische Arbeit. Dafür erfolgten Umbauten durch die Umwelt-Werkstatt der Diakonie mit zu qualifizierenden Langzeitarbeitslosen: eine Empore, nun für Büros und Ruheräume, wurde wieder eingebaut. Altar, Orgel und Taufbecken wurden aus dem geschlossenen Gemeindezentrum in Horneburg übernommen. Als Baudenkmal seit 1985 unter Denkmalschutz gestellt blieb sie äußerlich nahezu unverändert. Zehn Jahre lang gaben Diakon Horst Borrieß und Kirchmeister Eckhard Ostrowski der Friedenskirche und der dortigen Arbeit ein unverwechselbares Gesicht.

 

 

Zum Jahresende 2016 verlor die Friedenskirche ihre Funktion als Gotteshaus. Sie ist zwar nicht entwidmet worden, die evangelische Gemeinde Datteln, Besitzer des denkmalgeschützten Gotteshauses, setzte jedoch ihre Vorgaben um, die Kirche nicht mehr als solche zu nutzen. Taufen, Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungsgottesdienste finden dort nicht mehr statt. Taufbecken, Altar und Kanzel sind abgeholt worden. Auch die Glocke wird nicht mehr läuten.

 

 

Am 1. Januar 2017 haben die „Freunde und Förderer des Schiffshebewerk- und Schleusenparks Waltrop e. V.“ das historische Schmuckstück als Begegnungs- und Versammlungsstätte für kulturelle und industriegeschichtliche Veranstaltungen übernommen. Viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind der Friedenskirche treu geblieben. Als Kulturkirche unter der Regie des Fördervereins blieb die Friedenskirche am Schiffshebewerk so weiterhin Mittelpunkt für evangelische Christen, Angehörige anderer Religionen und alle anderen Interessierten. In neuer Trägerschaft stand die Kirche weiterhin für kulturelle Veranstaltungen zur Verfügung, sie konnte auch zu privaten Feiern angemietet werden. Sonntags konnten Besucher die offene Kirche mit einem Angebot von Kaffee und Kuchen in der Zeit von 15 bis 18 Uhr nutzen, wo sich ehrenamtliche Mitarbeiterinnen engagierten. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 trugen sie mit dazu bei, dass neben Altbewährtem wie den „Nachtschnittchen“ im ersten Jahr vier restlos ausverkaufte Krimidinner mit Mordsgeschichten und Drei-Gänge-Menü für finanzielle Erfolge sorgten. Weil diese Kulturabende gut besucht waren, half das dem Förderverein, die laufenden Kosten zu erwirtschaften und das Haus für seine Besucher offen zu halten.

 

 

Der Verein der „Freunde und Förderer des Schiffshebewerk- und Schleusenparks Waltrop e.V.“ setzt sich seit Jahren dafür ein, das Schiffshebewerk und sein Umfeld zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären zu lassen. Deshalb hat er die Trägerschaft für die Friedenskirche gerne übernommen; weil aus seiner Sicht die für die evangelischen Beamten und Arbeiter der Kanalverwaltung erbaute Friedenskirche ein unverzichtbarer Bestandteil des Schleusenparks ist, engagiert er sich trotz der aktuellen coronabedingten Schwierigkeiten dafür, den denkmalgeschützten Bau zu erhalten.

 

Investiert hat der Förderverein z.B. in Sachen Weihnachtsmarkt. Um die Friedenskirche noch weiter ans Schiffshebewerk anzubinden und noch mehr Anbieter an die Provinzialstraße zu locken, wurden zwei neue Zelte angeschafft, um Besucher und Standinhaber wettertechnisch besser zu schützen. Zahlreiche Kunsthandwerker u.a. aus den Bereichen Perlendrehen, Glaskunst, Floristik und Schmuck. Räucherwerk waren vertreten; ausgefallene Schmuckstücke gehörten ebenso zum Angebot wie echte Sonnenuhren.

 

In der über 100-jährigen Geschichte der Friedenskirche gab es immer wieder Situationen, in denen die Zukunft der Kirche gefährdet schien. In der Tat: Im Augenblick (Sommer 2022) hängen dunkle Wolken über dem denkmalgeschützten Kirchengebäude. Auch wenn das Presbyterium und der Förderverein „Freunde und Förderer des Schiffshebewerk- und Schleusenparks Waltrop e.V.“ nach praktikablen Lösungen suchen, erscheint die Zukunft der Keimzelle der evangelischen Kirchengemeinde Datteln heute äußerst ungewiss.