15 Jahre Dattelner Tafel

 

Die Beraterin

 

Von Stefan Huxel, Dattelner Morgenpost, 27. Juli 2015

 

DATTELN. Die drei beliebtesten Vorurteile gegenüber der Tafel sind „da kann jeder einkaufen“, „die fahren alle große Autos“ und „die wollen doch gar nicht arbeiten“. Ursula Kuchta räumt damit auf, denn in dem Caritas-Laden gibt es nicht nur Kleidung und Lebensmittel für Bedürftige, die Tafel-Chefin prüft die Anträge und bietet jedem Kunden eine Sozialberatung an, um individuell zu helfen. Die Schlange vor ihrem Büro ist stets lang.

Tafel-Chefin und Sozialberaterin Ursula Kuchta im Gespräch. Foto: Andreas Kalthoff

 

Nur wer einen Berechtigungsschein hat, den gibt es beim Jobcenter, Sozial- oder Jugendamt, den Wohlfahrtsverbänden oder den Kirchengemeinden, oder Einkommensunterlagen vorlegt und damit belegen kann, dass es ein bestimmtes Einkommen (Hartz 4 plus Bruttokaltmiete plus einen Euro Heizkostenanteil pro Quadratmeter) nicht überschritten wird, bekommt einen zwölf Monate lang gültigen Tafel-Ausweis. Für Alleinstehende liegt diese Grenze bei rund 820 Euro, für ein Ehepaar mit einem Kind unter fünf Jahren bei rund 1 560 Euro. „Die Berechnungsgrundlage wurde so gewählt, um auch Menschen mit geringer Rente oder Aufstockern einen Zugang zur Tafel zu ermöglichen“, erklärt Ursula Kuchta. Ja, es gebe Menschen, die das System ausnutzten. „Aber deren Anteil ist verschwindend gering“, sagt die Tafel-Chefin.

Dass ab und an auch ein größeres Auto vor dem Geschäft steht, hat mehrere Gründe. Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin käme mit ihrem Mercedes aus Waltrop. „Soll ich ihr verbieten, vor dem Laden zu parken?“ Darüber hinaus sieht das Gesetz vor, dass Hartz-4-Empfänger ein Auto besitzen dürfen, „damit sie im Falle einer Vermittlung wieder zur Arbeit fahren können“, sagt Ursula Kuchta.
Während meines Aufenthalts im Tafel-Laden sind es überwiegend ältere (Klein-)Wagen, die halten. Viele Menschen kommen zu Fuß, mit dem Roller oder Fahrrad. Dass die Tafel-Kunden nicht arbeiten wollen, stimme auch nicht. Das belege alleine die Zahl, dass über 40 Prozent der 70 Tafel-Mitarbeiter Kunden sind, die keine Anstellung finden. Rentner, Menschen mit Grundsicherung gehören ebenso dazu wie Alleinerziehende, die keine Kinderbetreuung haben, Flüchtlinge, die auf eine Arbeitserlaubnis warten, aber auch Menschen, die über das Jobcenter aufstocken, weil sie mit ihrem Verdienst nur knapp über Hartz 4 liegen. Speziell bei Senioren mit kleiner Rente stuft Ursula Kuchta die Dunkelziffer als hoch ein, „weil viele es gar nicht wissen oder sich schämen.“
In manchen Fällen ist es ein familiäres Ereignis wie eine Scheidung oder ein Todesfall in der Familie, eine Krankheit, der Verlust des Arbeitsplatzes, weil der Betrieb pleitegegangen ist, oder ein folgenschwerer Fehler, der das ganze Leben verändert. „Das ist heute keine Schwierigkeit mehr in Hartz 4 zu rutschen, dann geht der soziale Abstieg in kleinen Schritten weiter“, sagt die Diplom-Sozialarbeiterin.
Um den Fall aufzufangen und neue Perspektiven zu schaffen, bietet Ursula Kuchta, die eine viertel Stelle als Tafel-Koordinatorin und eine viertel Stelle als Sozialberaterin hat, donnerstags in ihrer Sprechstunde (14 bis 17.30 Uhr) und montags telefonisch eine allgemeine Sozialberatung an. Dann wird über Gesetzesänderungen informiert, beim Ausfüllen von Anträgen und Formularen geholfen und auf Wunsch Kontakt zum Ämtern aufgenommen. Übersteigt ein „Fall“ ihre Kompetenzen, greift sie auf den Arbeitskreis Datteln zurück. „Ich sortiere vor und vermittle dann an die spezialisierten Fachdienste wie den Sozialdienst katholischer Frauen oder die Ehe-, Familien- und Lebensberatung“, sagt Ursula Kuchta.