15 Jahre Dattelner Tafel

 

Die Verkäufer

 

Von Stefan Huxel, Dattelner Morgenpost, 20. Juli 2015

 

DATTELN. „Yasin, Arab“, sagt der Iraker. Deutsch oder Englisch spricht er nicht. Melitta Ellet und Hedi Hoppe, die beiden Damen an der „Kühltheke“, reichen ihm den abgepackten Aufschnitt. Der junge Mann lächelt verlegen, lehnt ab. „Manche Flüchtlinge ernähren sich nur von Brötchen und Joghurt. Sie kennen unsere Lebensmittel nicht“, sagt Hedi Hoppe. Es ist Verkaufstag bei der Tafel.

 Bärbel Biehl verkauft bei der Tafel Backwaren. Sie ist eine von 68 Ehrenamtlichen. Foto: Andreas Kalthoff

 

Für gewöhnlich bilden sich dienstagsmorgens und donnerstagsnachmittags vor dem Caritas-Laden an der Heibeckstraße lange Schlangen, auch im Warteraum-Café herrscht dann reger Andrang. „Während des Ramadan kamen weniger Leute, vermutlich weil sie die Sachen ja noch abends kochen mussten“, sagt Hedi Hoppe. Denn die Waren sind kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD), manche bis zu drei Tage darüber. „Die verschenken wir. Die Kunden müssen unterschreiben, dass sie das wissen“, erklärt Hedi.
Ein unendliches Warenangebot wie in Supermärkten üblich gibt es nicht, angeboten wird, was die Läden übrig hatten. Wenn wenig da ist, gibt es pro Kopf auch weniger. Die Putenbrust mit grünem Spargel findet an diesem Donnerstag keine Liebhaber, hat sie anscheinend im Supermarkt auch nicht. „Eine Zeit haben wir unheimlich viel Lachs bekommen, der ist auch lecker. Aber mal ehrlich, wollen Sie jeden Tag Lachs essen?“, fragt Hedi.
Ein Ehepaar aus Armenien kommt zum Tresen. Mit Händen und Füßen und ein paar Brocken Englisch wird kommuniziert. Heute gibt es Kartoffelcreme und Zaziki. „Tja, was ist Zaziki?“, grübelt Hedi Hoppe über die Frage des Mannes. Dazu gibt’s ein Rezept: „Schmeckt gut zu Kartoffeln.“ Der Mann nickt. Ich ergänze „Gyros“ und ernte von Hedi einen strafenden Blick. Fleisch gibt es bei der Tafel nicht wegen der Lebensmittel- und Hygienevorschriften. Die Geschäfte bieten es bis kurz vor Ablauf des MHDs an. Ein Verkauf wäre dann für die Tafel zu riskant.
Gerade die Kinder und Jugendlichen der Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Eritrea, dem Iran oder Irak würden „sehr intensiv“ Deutsch lernen. Es ginge „ratzfatz“, dass sie sich verständigen könnten. „Man merkt, dass die hier studieren wollen“, sagt Maria Specht. Die ehemalige Fleischerei-Filialleiterin arbeitet wie alle anderen ehrenamtlich und hat an der Kasse das Sagen. Ein bis zwei Euro zahlen die Kunden für eine gefüllte Einkaufstasche. „Eine Familie mit acht Personen zahlt höchstens drei bis vier Euro“, erklärt Maria Specht. Nach dem Einkauf gibt es eine Losnummer. Pro anderthalb Stunden werden 50 Kunden in den Laden gelassen. Mit den Losen wird sichergestellt, dass der Andrang überschaubar bleibt und einzelne nicht immer zur selben Zeit kommen müssen. Für diejenigen, die krank sind oder in einer Arbeitsmaßnahme stecken, werden Kisten gepackt.

Die allermeisten Kunden sind dankbar, weiß Lieselotte Schlathölter von der Obst- und Gemüsetheke: „Manche sind anspruchsvoll. Wenn ein Apfel verditscht ist, wollen sie ein neues Teil.“
Eine ältere Dame steht Hedi Hoppe gegenüber, fragt leise nach der Brille. Hedi hatte ihr versprochen, eine ausrangierte Gleitsichtbrille mitzubringen. Doch die Dame hat beim letzten Mal dienstags eingekauft, Hedi, die ihre Brille abnimmt und sie der Dame reicht, ist donnerstags da. „Kann ich gut durch sehen“, sagt die Kundin und lächelt. „Beim nächsten Mal bringe ich eine mit“, verspricht Hedi.
Die Altersarmut nimmt zu und auch Alleinerziehende bilden einen erheblichen Teil der Tafel-Kundschaft. „Jedes Mal kommen Neue“, sagt Lieselotte Schlathölter.

 

 Um Kunde der Tafel werden zu können, kann man sich entweder einen „Berechtigungsschein“ vom Jobcenter/Sozial- oder Jugendamt, den Wohlfahrtsverbänden oder den Kirchengemeinden ausstellen lassen oder aussagekräftige Einkommensunterlagen (ALG 1/2-Bescheide, Rentennachweise, Gehaltsabrechnungen...) sowie einen Nachweis über die Wohnungsgröße bei der Anmeldung im Sozialbüro der Tafel vorlegen. Um einen Tafelausweis zu erhalten, darf ein bestimmtes Einkommen nicht überschritten werden: Hartz 4 (ALG 2) plus zehn Prozent plus Bruttokaltmiete plus einen Euro pro Quadratmeter (Heizkostenanteil). Für einen Alleinstehenden wären das rund 820 Euro.
Rund 1 200 nachweislich bedürftige Dattelner können bei der Tafel von Geschäften und Privatleuten gespendete Lebensmittel, Kleidung und Schulmaterialien an den beiden Ausgabetagen Dienstag und Donnerstag günstig erwerben. Träger der Einrichtung ist der Caritasverband Datteln.